Annerose Koschinski (72): Sie feiert den 30. Geburtstag ihres Sex-Shops in Mahlsdorf

Mahlsdorf im Frühjahr 1991. Nicht einmal 15.000 Menschen leben im Ortsteil, an der B1 gibt es keine Möbelmärkte, die allermeisten Grundstücke sind über 1000 Quadratmeter groß. Vom Boom der kommenden Jahrzehnte scheint Mahlsdorf Lichtjahre entfernt. Mitten in diesen ungewissen Wirren der Nachwendezeit nehmen Annerose Koschinski und ihr Mann Rudi ihr Schicksal selbst in die Hand – und eröffnen am 13. April 1991 in der beschaulichen Florastraße zwischen Einfamilienhäusern den kleinen Erotik-Laden „Röschen’s Intimvitrine“. Heute, exakt 30 Jahre später, steht Annerose Koschinski, mittlerweile 72 Jahre alt und fünffache Oma, immer noch hinter dem Tresen ihres kleinen Geschäfts. Dunkelrot gefärbte Haare, randlose Brille, weiße Bluse, beige Strickjacke – die „taz“ bezeichnete die Mahlsdorferin vor ein paar Jahren nach einem Besuch als das „freundliche Großmüttcherchen von nebenan“. Aber eines, das es faustdick hinter den Ohren hat.

„Was ich in den vergangenen drei Jahrzehnten erlebt und an Geschichten von Kunden gehört habe, da könnte ich ganze Bücher füllen“, lacht Koschinski gegenüber „Alles Mahlsdorf“. Gleich neben ihr stehen mit knapper Unterwäsche bekleidete Plastik-Frauenoberkörper, über ihr hängt fein säuberlich aufgereiht allerlei Sex-Spielzeug. Im Regal gegenüber finden sich Hunderte erotische Filme. Auf DVD. „Zu mir kommen Junge und Ältere, wobei letztere überwiegen“. so Koschinski. „Manche wollen ganz klassisch ihr gemeinsames Liebesleben mit ein paar Accessoires aufpeppen, andere hingegen gehen in die Vollen.“ Wie die Frau, die herausfand, dass ihr Mann auf Sado-Maso steht und sich in Mahlsdorf in Lack und Leder einkleidete – um ihren Gatten dann vom Arbeitsplatz abzuholen. „Oder der ältere Herr, der enttäuscht von der Damenwelt zu mir in die Intimvitrine marschierte und sagte: ‚Ich möchte keine neue Frau, ich möchte nur ein weibliches Geschlechtsteil aus Plastik‘ Er hat natürlich ein anderes Wort benutzt, aber das können’se ja nicht schreiben“, lacht Koschinski.

Ihre offene, entwaffnende Art nimmt vielen Kunden die Scheu vor einem beratenden Gespräch über ihre Wünsche. „Das ist eben meine Mentalität.“ Früher, in ihrer Heimat Sachsen hat, da hat sie Schaftstepperin gelernt, arbeitete später als orthopädische Schuhmacherin. „Ein Schuhladen in der abgelegenen Florastraße ohne Laufkundschaft wäre mit Sicherheit in die Hose gegangen. Zum Glück hatte mein Rudi die Idee eines Sex-Shops, woher auch immer. Am Anfang hatte ich bei jedem Kunden einen hochroten Kopf.“ Als Neulinge in der Branche mussten sie sich von Beginn an alles erlesen, unendlich viele Gespräche mit Insidern führen, unzählige Messen besuchen. Und natürlich selbst ausprobieren. „Wir hatten ja von Tuten und Blasen keine Ahnung.“ Am Augenzwinkern bei diesem Spruch spürt man, dass Annerose Koschinski diese Pointe nicht zum ersten Mal einsetzt.

Wie lange Annerose Koschinski noch in ihren 40 Quadratmetern hinter der alten Holztheke stehen will, weiß sie nicht. Ihr Rudi hat sie schon oft gebeten, endlich aufhören und die Rente zu genießen. Das Internet ist eine riesige Konkurrenz, gegen die kleinen Preise der Online-Händler hat sie keine Chance auf Reichtum. Und dann auch noch Corona. „Wenn ich Miete für mein Geschäft zahlen müsste, würde es die Intimvitrine schon längst nicht mehr geben. Bei mir kann man aber anfassen, angucken, man spürt das Material und auch die Lautstärke ist bei einigen Spielzeugen entscheidend.“ Aber Annerose Koschinski sieht sich eben als mehr als eine Verkäuferin. „Vor allem Männern mit Erektionsproblemen spreche ich viel Mut zu, berate sie. Oft komme ich mir vor wie eine Psychologin. Darauf kann ich mir schon ein Bienchen anstecken.“

Annerose Koschinski hält die Anerkennung ihrer Kunden aufrecht. Seit 30 Jahren allen Widerständen und immer weniger werdender Kundschaft zum Trotz. Die 72-Jährige kämpft weiter für ihr Kleinod in der Florastraße. „Spaß macht es jeden Tag! Das ist schließlich mein berufliches Baby. Das habe ich mir alles selbst aufgebaut.“ Und in dem gibt es zur Feier des Jubiläums noch bis zum Ende des Aprils 30 Prozent Rabatt. Happy Birthday, Intimvitrine!

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