Man kann ja von der AfD halten was man will. Gewählt ist sie jedenfalls, bei der letzten Berlin-Wahl 2016 in unserem Ortsteil mit immerhin fast 16 Prozent. Damit zog Jeannette Auricht, laut Eigenbezeichnung „Ur-Mahlsdorferin“, ins Abgeordnetenhaus ein. In den vergangenen Tagen und Wochen veröffentlichte ebenjene Auricht auf der Facebook-Seite der AfD-Fraktion drei Videos zu Mahlsdorfer Themen. „Mahlsdorf LIVE“ unterzog diese einem Faktencheck. Kleiner Spoiler: Viel stimmt nicht.
Video 1: Wohnungen contra Kiekemal-Schule
Jeannette Auricht steht vor der Baustelle der GESOBAU, die in der Zossener Straße in Hellersdorf Wohnungen für Flüchtlingsfamilien errichtet. Laut Auricht mit „Luxuscharakter“, womit sie wahrscheinlich weiße Wände und einen Balkon meint. Dieses Projekt rechnet sie gegen den benötigten Zusatzbau für die Kiekemal Grundschule in Mahlsdorf. Hier das Video: https://www.facebook.com/watch/?v=610170402950646&extid=2pnGn7xIyf5jOppl
Die Behauptung: In der Videoankündigung heißt es: „Zur gleichen Zeit kann eine dringend benötigte Erweiterung der Kiekemal-Grundschule in Mahlsdorf mangels Mittel nicht stattfinden“ (Rechtschreibfehler im Original).
Der Fakt: Die 4,9 Millionen Euro für den Zusatzbau der Kiekemal-Schule auf dem Lehnitzplatz sind seit Januar freigegeben. Die Mittel sind also da, die Verzögerung hat andere Gründe („Mahlsdorf LIVE“ berichtete mehrfach).
Die Behauptung: Der Senat lässt sich im Gegensatz zu den Wohnungen für Geflüchtete viel Zeit.
Der Fakt: Schulstadtrat Gordon Lemm (SPD) sagt gegenüber „Mahlsdorf LIVE“: „Die fast fünf Millionen Euro für den Ergänzungsbau der Kiekemal wurden nach rund drei Wochen genehmigt. Eine derartig schnelle Bewilligung von Mitteln durch die Senatsverwaltung für Finanzen wohl noch nie.“
Und noch etwas, was wie eine Petitesse klingen mag, faktisch aber nun mal falsch ist: Der Senat baut die Wohnungen nicht. Das macht das landeseigene Unternehmen Gesobau. Und der Senat baut auch nicht den Ergänzungsbau der Kiekemal. Das macht der Bezirk.
Video 2: Kreisverkehr in der Elsenstraße
Die Abgeordnete Auricht steht im Video mit ihrem Abgeordneten-Kollegen Gunnar Lindemann an der Kreuzung Am Niederfeld/Elsenstraße/Kressenweg, hier droht laut dem Duo ein „Verkehrsinfarkt“. Laut Verkehrsexperten benutzt man diesen Begriff, wenn es zu einem völligen Zusammenbruch des Verkehrs kommt. Ob dies so an dieser Stelle tatsächlich droht, sei mal dahingestellt. In dem kurzen AfD-Film finden sich trotzdem weitere inhaltliche Fehler. Hier das Video: https://www.facebook.com/watch/?v=582885149026698&extid=T6wljyStcszDi95x
Die Behauptung: „Wöchentlich passieren hier schwere Unfälle“.
Der Fakt: „Mahlsdorf LIVE“ fragte bei der Polizei nach. In den vergangenen dreieinhalb Jahren gab es exakt sieben Unfälle mit Personenschaden (2020 glücklicherweise noch keinen). Selbst wenn man annimmt, dass die sieben verletzten Personen jeweils aus voneinander unabhängigen Unfällen stammen, wären dies circa zwei Verletzte (über den Schweregrad ist nichts bekannt) pro Jahr. Von „wöchentlich schwere Unfälle“ ist diese Statistik also weit entfernt. Und auch wenn man Aurichts Aussage wohlwollend betrachtet und nur Unfälle mit Blechschäden zu Rate zieht, kommt man längst nicht auf „wöchentlich“. 2017 waren es an dieser Stelle 14 Unfälle, 2018 derer 11, 2019 nur noch 10 und 2020 steht die Zahl bei 5. Abgesehen davon, dass die Tendenz abnehmend ist, passieren Unfälle statt wöchentlich also nur circa alle anderthalb Monate.
Die Behauptung: Auricht sagt in dem Video: „Wir haben Vorschlag gemacht, hier einen Kreisverkehr zu errichten.“
Der Fakt: Bei wem oder wo sie den Vorschlag gemacht haben, ist unklar. In den öffentlich einsehbaren Dokumenten der Bezirksverordnetenversammlung Marzahn-Hellersdorf bzw. des Bezirksamtes findet sich nichts dergleichen. Wohl findet sich allerdings ein Antrag der CDU Hellersdorf aus dem Mai 2019, dass sich das Bezirksamt bei der Senatsverwaltung dafür einsetzt an dieser Stelle einen Kreisverkehr zu errichten.
Die Behauptung: Der Vorschlag wurde von Verkehrsstadträtin Nadja Zivkovic (CDU) abgelehnt.
Der Fakt: Eine Stadträtin kann gar keinen Kreisverkehr ablehnen, da über ein solches Verkehrsprojekt die bei der Senatsverwaltung für Verkehr angegliederte Verkehrslenkung Berlin entscheidet. Wohl aber hat Zivkovic den Antrag der CDU abgelehnt.
Die Behauptung: Zivkovic hat den angedachten Kreisverkehr aus „fadenscheinigen“ Gründen „kategorisch abgelehnt“.
Der Fakt: Tatsächlich ist Zivkovic nach Prüfung des CDU-Vorschlags diesem nicht gefolgt. Allerdings nicht aus „fadenscheinigen“ Gründen, sondern auf Gesetzesgrundlage. Denn: Die Kreuzung befindet sich im Barnimhang (Berliner Balkon), welcher ein naturschutzrechtlich festgesetztes Landschaftsschutzgebiet ist. Der Paragraph 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2., 3., 6. der Landschaftsschutzgebietsverordnung verbietet es Anlagen zu errichten, die Bodengestalt zu verändern, die Bodendecke zu beschädigen, zu verfestigen oder zu versiegeln, Zäune oder sonstige Einfriedungen zu errichten.
Video 3: Auricht und Lindemann stehen auf dem Berliner Balkon in Mahlsdorf und kämpfen für den Naturschutz (siehe Screenshot). Nachdem im vorhergehenden betrachteten Video mit einem Handstreich ein Kreisverkehr ins Landschaftsschutzgebiet gebaut werden soll, machen sich die beiden nun Sorgen um selbiges. Hier das Video: https://www.facebook.com/watch/?v=335621507614342&extid=u9q9dvSO1hbw7qhY
Die Behauptung: Stadträtin Nadja Zivkovic will „die Party-People-Szene einladen in Mahlsdorf zu feiern.“
Der Fakt: Die Senatsverwaltung für Wirtschaft hat bei allen zwölf Bezirksämtern angefragt, ob öffentliche Konzerte, Festivals oder Partys während der Corona-Zeit stattfinden könnten, und wenn ja wo. Zivkovic antwortete, dass Marzahn-Hellersdorf das Thema nicht grundsätzlich ablehne, etwa könnten Veranstaltungen auf den Wiesen im Cleantech Businesspark in Marzahn wohl auch nach 22 Uhr noch stattfinden. Dies sagte die Stadträtin öffentlich Ende Juli, also zwei Wochen vor Erscheinen des AfD-Videos. Von „einladen” und Party in Mahlsdorf war nie die Rede.
Die Behauptung: Lindemann und Auricht stehen im Landschaftsschutzgebiet in Mahlsdorf und suggerieren, dass die „Party“ hier stattfinden würde. Sie fragen sich, wie die Fläche wohl aussehen würde, wenn hier eine große organisierte Veranstaltung stattfinden würde.
Der Fakt: Eine organisierte Party in einem Landschaftsschutzgebiet ist laut Landschaftsschutzgesetz unmöglich.
Die Behauptung: Auch dies mag wie eine Petitesse klingen, ist für einen Faktencheck aber wichtig: Auricht und Lindemann fabulieren über Partys im Neuköllner Volkspark Hasenheide
Der Fakt: Es werden Bilder eines Straßenkonzerts aus dem Jahr 2019 aus der Oranienstraße in Kreuzberg gezeigt.
Sind all die inhaltlichen Fehler und Falschdarstellungen Zufall und unbeabsichtigt? Kann sein. Das wäre für Abgeordnete mit einer monatlichen Abgeordnetenentschädigung von jeweils 6250 Euro plus einem vierstelligen Betrag für Amtsausstattung (Büroausstattung und Sachmittel) jedoch ganz schön peinlich…