Lesung in Mahlsdorf: Was aus den Plattenkindern von der Fischerinsel wurde

Im Zentrum Ost-Berlins, an einer der ältesten Stellen der Stadt, entstand zwischen 1969 und 1973 eine einzigartige Hochhaussiedlung. In die Plattenbauten auf der Fischerinsel zogen neben kinderreichen Familien bekannte Künstler, Wissenschaftler, Funktionäre und Diplomaten ein. DDR-Alltag traf hier auf Prominenz und Extravaganz. Auch der Journalist und Moderator Andreas Ulrich lebte als Kind eine Zeitlang in einem der sieben Wohntürme. Für sein Buch „Die Kinder von der Fischerinsel“ hat er sich auf die Suche nach einstigen Mitschülern begeben und ihre Lebenswege skizziert. Am Montag, dem 8. Mai, liest er in der Stadtteilbibliothek Mahlsdorf ein paar Passagen aus seinem Werk vor. Beginn ist um 18 Uhr

Andreas Ulrich, geboren 1960 in Berlin, studierte Journalistik in Leipzig und arbeitet seit Jahren als Reporter, Redakteur und Moderator vor allem für das rbb-Fernsehen, radioeins, Deutschlandradio Kultur und den NDR-Hörfunk. © Thomas Uhlemann

Die Familie von Andreas Ulrich zog 1970, da war er gerade zehn Jahre alt, in eines der über 60 Meter hohen Wohnhäuser in Großtafelbauweise, die die DDR am südlichen Zipfel der Spreeinsel errichtet hatte. Was nach dem Zweiten Weltkrieg von der historischen Altstadt in dem etwa acht Hektar großen Viertel übriggeblieben war, wurde für die sozialistische Umgestaltung restlos beseitigt. Neben den Wohnungen entstanden auch zwei Kinderkombinationen, eine Kaufhalle, eine kleine Ladenpassage, eine Schwimmhalle und die Großgaststätte „Ahornblatt“.

 

„Ein architektonischer Hingucker sind die Fischerinsel-Hochhäuser nicht. Als sie gebaut wurden, vor fünfzig Jahren, galten sie dennoch als super begehrte Wohnlage, weil sie einen seinerzeit nicht selbstverständlichen Komfort boten, Heizung und fließend Warmwasser, und weil das Viertel mitten im Ostberliner Stadtzentrum lag“, schreibt Ulrich auf den ersten Seiten seines Buches.

 

Prominente „Insulaner“ waren unter anderem die Dichterin Sarah Kirsch, der Kinderbuchautor Benno Pludra („Insel der Schwäne“), Schlagersängerin Regina Thoss und der „rote Elvis“ Dean Reed. Schauspieler Herbert Köfer parkte seinen gelben Sportwagen auf der Straße. Musiker Frank Schöbel besuchte hier regelmäßig seine Schwiegereltern und Markus Wolf, Chef des DDR-Auslandsnachrichtendienstes, gehörte zu den Erstbeziehern. Damals sollen die West-Geheimdienste noch fieberhaft nach einem Foto von Wolf gesucht haben. „Auf der Fischerinsel hätten sie ihn jederzeit ablichten können, wenn er mit seinen Kindern und Enkelkindern dort spazieren ging“, so Ulrich.

 

In die meisten der 1.500 Wohnungen des Viertels aber lebten ganz normale Familien. Was aus einigen der Kinder geworden ist, mit denen Andreas Ulrich in eine Klasse ging, und wie die Jahre im Hochhausviertel sie geprägt hatten, wollte der Autor für sein Buchprojekt wissen. Er hat sie aufgesucht, mit ihnen und manchen Angehörigen gesprochen und 16 kurze Biografien zu Papier gebracht. Was er zu hören bekam, waren „spannende Lebensgeschichten, komische und dramatische, tragische auch.“ Auch um die Prominenten der Fischerinsel ging es in den Unterhaltungen immer wieder. Ulrichs Texte beweisen, dass jeder Mensch eine Geschichte hat, die es wert ist, erzählt zu werden. Klassenkamerad Andreas zum Beispiel erlebte als Kind auf der Fischerinsel ein echtes Erdbeben und später als Polizist seinen ersten Mordfall. Jörg stieg zum Spitzenverdiener auf und Moritz empfand die Jahre auf der Fischerinsel als die traurigsten in seinem Leben.

 

Die Kinder von der Fischerinsel

Gebunden, 224 Seiten
ISBN 978-3-8148-0250-3
Print 22 € / E-Book 13,99 €

 

Lesung in Mahlsdorf
Mo, 08.05.2023, 18.00 Uhr

Bibliothek Mahlsdorf

Alt-Mahlsdorf 24-26, 12623 Berlin

Anmeldung erforderlich unter T. 567 68 66
Eintritt frei

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