In der Elternschaft brodelt es. Die Gesamtelternsprecher von sechs Grundschulen im Siedlungsgebiet wollen die mitunter massive Überbelegung der Bildungseinrichtungen nicht länger hinnehmen. Sie haben wenige Tage vor der Berlin-Wahl einen gepfefferten Brandbrief an den Senat geschrieben und zum Gesprächstermin gebeten. Der Zeitpunkt für den offenen Hilferuf ist ganz bewusst gewählt, „weil wir befürchten, dass uns nach der Wahl wieder niemand zuhören wird“, sagt Reinhard Lau von der Mahlsdorfer Grundschule.
Die Eltern der Franz-Carl-Achard-, der Ulmen-, der Fuchsberg-, der Kiekemal-, der Friedrich-Schiller- und der Mahlsdorfer Grundschule werfen dem Senat „Schlamperei, Dilettantismus, verantwortungsloses Zugucken und Phlegma“ vor. Seit Jahren schon herrscht an vielen Standorten akuter Platzmangel. Die Kiekemal-Grundschule etwa ist zu 150 Prozent überbelegt und auch an der Mahlsdorfer Grundschule liegt die Auslastung bei 130 Prozent. „Die kommenden ABC-Schützen werden zum 5. Jahr (!) in Folge an überfüllte Schulen verwiesen“, wird in dem Schreiben kritisiert. Inzwischen fehle es an Lehrern, Räumen, Tafeln, Stühlen und Tischen. Dabei, so die Eltern, sei der Schulplatzbedarf doch größtenteils absehbar gewesen. Meist müssten Kinder „erst einmal 6 Jahre alt werden, bevor die Schule ihre Tore auch für sie öffnet.“
Eltern haben die Durchhalteparolen satt
Zwar sind in Marzahn-Hellersdorf die Schülerzahlen nicht nur durch Geburten, sondern gerade auch durch Zuzüge von Kindern mit und ohne Fluchterfahrung gestiegen, zweifelsohne aber hat es der Senat vor Jahren verpasst, dem Bezirk den Bedarf zusätzlicher Grundschulplätze rechtzeitig anzuerkennen. Nach jahrelangem Kampf des bezirklichen Schulamts deutet sich erst jetzt Licht am Ende des Tunnels an – auch im Siedlungsgebiet: Die neue Grundschule an der Elsenstraße (Mahlsdorf) wird voraussichtlich im November 2024 eröffnen. Die Grundschule in der Haltoner Straße (Biesdorf) soll 2025/26 kommen und für die Gemeinschaftsschule im Bisamkiez (Mahlsdorf) wird 2026/27 mit der Fertigstellung gerechnet.
Bis dahin aber müssen die Kinder in den Schulen weiterhin viel zu eng zusammenrücken. Die bislang geschaffenen temporären Schulplätze wie die Containeranlage auf dem Lehnitzplatz und ergriffene schulorganisatorischen Maßnahmen wie der Umbau von Fach- und Teilungsräumen zu Klassenzimmern helfen zwar, die Zeit bis zur Eröffnung der Neubauten zu überbrücken, aber sie bringen keine echte Entlastung und die wäre dringend notwendig. „Statt nachhaltiger Lösungen gibt es Durchhalteparolen des Senats“, ärgern sich die Vertreter von etwa 2.000 Schülern und 4.000 Eltern.
Dramatische Zustände
Die von ihnen beschriebene Situation an den Schulen klingt in jedem Fall dramatisch: Kinder, die künftig eigentlich auf dem Flur unterrichtet werden müssten, weil kein Platz mehr in den Klassen ist, verstopfte Flucht- und Rettungswege im Katastrophenfall, drei Toiletten für 100 Kinder in der Franz-Carl-Achard-Grundschule und überlastetes Personal, wohin man sieht. An der Friedrich-Schiller-Grundschule soll die Zahl der Gewalt- und Unfallmeldungen 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 25 Prozent gestiegen sein, an der Mahlsdorfer Grundschule seit dem Schuljahr 2019/20 um über 60 Prozent. Im gleichen Zeitraum habe sich der Krankenstand von Lehrkräften und Erziehern um über 83 Prozent erhöht. Die Eltern stören sich an den Bustransfers zu Filialstandorten, an Schulergänzungsbauten, die den Bewegungs- und Freiraum auf den Schulhöfen einschränken, und sie bemängeln die Lernbedingungen gerade auch für Erstklässler.
Jeglicher Bildungserfolg werde „im Wissen und Wollen des Senats“ der Boden entzogen, ist im Brandbrief zu lesen und weiter: „Die Zukunft der Grundschulen steht auf Messers Schneide, eine Bildungsmisere formt sich bereits erkennbar am Horizont. Kinder können ab dem Schuljahr 2022/23 nicht mehr an ihrer Wohnortschule aufgenommen werden.“
Liste der Forderungen ist lang
Daher solle Schule in Berlin nun zur Chefsache mit oberster Priorität werden, fordern die verzweifelten Mamas und Papas. Außerdem wollen sie ein Ende des Behörden-Ping-Pongs, mehr Tempo bei der Personalakquise und schulnahe Ausgleichsangebote für überbelegte Standorte, was etwa den Schwimmunterricht und zusätzliche Räume angeht. Die besonders belasteten Schulen sollen außerdem mehr Sozialarbeiter und Schulhelfer, Extra-Geld aus dem Verfügungsfonds der Senatsverwaltung und zusätzliche mobile Klassenzimmer auf freien Grundstücken bekommen.
Bezirksverordnete schlagen alternativen Gesprächstermin vor
Um gemeinsam Lösungen aus der Schulplatzmisere zu finden, bieten die Eltern dem Senat ein „konstruktives Auftaktgespräch“ am Freitag, dem 10. Februar, ab 18.30 Uhr auf dem Schulhof der Fuchsberg-Grundschule (Apfelwicklerstraße 2-4) an. Ob Vertreter der Senatsbildungsverwaltung der Einladung folgen, ist bislang noch nicht bekannt. Inzwischen haben sich Mitglieder des Schulausschusses der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) eingeschaltet und einen anderen Gesprächstermin vorgeschlagen. Statt sich abends in der Kälte auf einem Schulhof auszutauschen, wollen Regina Kittler (Linke), Anne Thiel-Klein (Grüne) und Jan Hofmann (SPD) in einer Videokonferenz am Donnerstag, dem 9. Februar, von 18 bis 20 Uhr mit den Eltern über mögliche Lösungsansätze diskutieren.
Senat dürfe den Bezirk nicht länger hängen lassen
„Ich freue mich, dass wir so viele Reaktionen auf den Brandbrief erhalten“, sagt Gesamtelternsprecher Reinhard Lau. Wenn es sich zeitlich einrichten lasse, wolle er gern auch den Termin mit den Bezirksverordneten wahrnehmen, sagt er, hält diese aber nicht unbedingt für die richtigen Ansprechpartner. „Wir sehen den Bezirk nicht in der Verantwortung.“ Unisono seien er und seine Mitstreiter sowohl Stadtrat Dr. Torsten Kühne (CDU) als auch seinem Vorgänger Gordon Lemm (SPD) überaus dankbar für das bislang geleistete Engagement und die ergriffenen Maßnahmen. Der Senat müsse nun aber endlich seine Hausaufgaben machen und den Bezirk angemessen dabei unterstützen, die angespannte Schulplatzsituation zu entschärfen. „Ich bin seit fünf Jahren Elternsprecher, genauso lange ist das Thema virulent und irgendwie tut sich nichts.“ Die Schulbauten müssen nun ohne weitere Verzögerung kommen „und wir brauchen kurzfristige Übergangslösungen“, so Lau.