Die Corona-Testpflicht für Schüler in Berlin stößt kurz vor ihrem Inkrafttreten am kommenden Montag auf heftige Kritik. Der Kinderschutzbund Berlin etwa bemängelte, dass das Testkonzept nicht durchdacht sei und viele Fragen unbeantwortet lasse. Und auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Berlin (GEW) kritisierte, „es gebe keine klaren Vorgaben, wie die Testungen überhaupt durchgeführt werden sollten“, bemängelte der GEW-Vorsitzende, Tom Erdmann. Nach „Alles Mahlsdorf“-Informationen erhalten Schulen in Marzahn-Hellersdorf derzeit gar bereits zahlreiche Klageandrohungen von Anwälten, andere verschieben aufgrund der Vielzahl noch ungeklärter Fragen die Testpflicht in der Schule.
Auch die Eltern der Mahlsdorfer Grundschule am Feldrain, die bereits eine Unterschriftensammlung gegen die Testpflicht in der Schule starteten, sind empört über das Vorgehen der Senatsverwaltung für Bildung. Gesamtelternsprecher Reinhard Lau sprieb deshalb einen offenen Brief an Senatorin Sandra Scheeres (SPD). „Alles Mahlsdorf“ veröffentlicht diesen hier:
Sehr geehrte Frau Senatorin Scheeres,
Sehr geehrter Herr Blume,
Sehr geehrter Herr Duveneck,
Sehr geehrter Herr Salchow,
mit großem Interesse hat ein Großteil der Eltern unserer Mahlsdorfer Grundschule und ganz gewiss in allen Teilen Berlins auf Ihre für vorgestern angekündigte Stellungnahme zur Umsetzung der Selbsttestungen der Schüler in den Schulen gewartet. Als Gesamtelternsprecher unserer Grundschule möchte und muss ich Ihnen das breit geteilte Unverständnis in den nachfolgenden Zeilen zum Ausdruck bringen und möchte Ihnen das auch begründen.
Lassen Sie mich eingangs die Gegenargumente einer von Grundschülern selbst durchgeführten Testung, während der Phase stark eingeschränkten Unterrichts in Frage-Form voranstellen:
- Ist den Eltern zuzutrauen, die Tests zuverlässig und ordnungsgemäß zu Hause durchzuführen und die Ergebnisse korrekt zu bescheinigen?
- Können Eltern diese Testungen an ihren Grundschul-Kindern besser, vorsichtiger und mit höherer Zuverlässigkeit durchführen?
- Ist es in dieser Phase der Pandemie und auch sonst angebracht – im Zweifel „Corona-positive“ – Kinder nicht erst in die Schule kommen zu lassen?
- Entsteht beim Selbsttest ein akuter Nies-Reiz? In Gegenwart von Lehrern und Mitschülern innerhalb des Schulgebäudes?
- Entfalten etwaig positive Testergebnisse psychische/ seelisch nachteilige Wirkung auf Kinder?
- Wird die ohnehin schon knapp bemessene Unterrichtszeit noch weiter verkürzt?
- Ist das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung stark beeinträchtigt, wenn andere Kinder/ Lehrer im Raum zugegen sind?
Ich darf vorweg nehmen, dass alle diese Fragen mit
JA
zu beantworten sind. Welche Abwägung hat Sie also bewogen, sich für eine solche Umsetzung zu entscheiden und die von Ihnen für richtig empfundene Umsetzung der Testungen nicht –wie sonst auch- im Rahmen einer Landesverordnung zu regeln?
Ich möchte auch vorweg nehmen, dass weder der Großteil der Eltern unserer Schule, noch ich gegen eine Testung dem Grunde nach sind. Wir sehen selbstverständlich die Gefahr einer Erkrankung durch COVID 19. Aber aus dem gleichen Grunde rufen wir Sie in diesen Zeilen an und auf, Ihre politische Entscheidung jedenfalls mit Bezug zu Schülern einer Grundschule dringend und gründsätzlich zu überdenken. Dies aus den nachfolgenden Erwägungen:
Eine Selbsttestung durch ein Kind verwirklicht die Gefahr einer psychischen Schädigung des Kindes; sie widerspricht damit dem Kindeswohl. Genannt seien insofern nur folgende Schlagworte, die gewiss keiner Ausformulierung bedürfen: Stigmatisierung, Schuldgefühle, Ausgrenzung, Absonderung, Isolation. Die Antwort hierauf in Ihrer Stellungnahme vom 14.04.2021 lautet bei einem positiven Testergebnis auszugsweise:
Die betreffende Schülerin/der betreffende Schüler ist von der Gruppe zu trennen. Bitte stellen Sie sicher, dass die Schülerin oder der Schüler in dieser angespannten Situation nicht allein ist und sensibel begleitet wird.
Diese Umsetzung ist gar nicht möglich, ohne dass die übrige Klasse unbeaufsichtigt gelassen würde. Oben erwähnte ich bereits, dass insbesondere die Schüler der SAPh mit nur drei Unterrichtsstunden sehr wenig Unterricht haben. Wie lange sollen Lehrer den ohnehin kaum stattfindenden Unterricht gewährleisten und gleichzeitig sicherstellen, dass ein/e SchülerIn sensibel begleitet und isoliert wird. Hier wird die Bewältigung Ihrer Idee auf die Lehrer überantwortet, die dies vor Ort in den Schulen unmöglich umsetzen können. Das kann schlechthin unseren Lehrern nicht aufgebürdet werden.
Eine Selbsttestung durch ein Kind verwirklicht die Gefahr einer physischen Schädigung. Die Tests enthalten gesundheitsgefährdende Chemikalien, die unmittelbar zu Reizungen der Haut, der Augen, der Schleimhäute und der Haut führen können. Sie werden diese meines Erachtens akute Gefahr kaum in Kauf nehmen wollen? Gemäß Ihrer Stellungnahme vom 14.04.2021 überantworten Sie diese Gefahr der Aufsicht der Lehrer. Kein Lehrer sollte diese Verantwortung ohne jede Vorbereitung an Personal-, Raum- und Sachmitteln, zudem alleinverantwortlich tragen müssen. Schützen Sie die Lehrer im Verhältnis zu den Eltern vor Haftung und Anfeindung? Haben Sie bislang auch nur eine Schule mit Schutzkleidung (Brillen, Handschuhe, Kittel analog der Testung in Einkaufszentren, Testzentren oder Pflegeheimen) ausgestattet? Hier ist derzeit die Antwort NEIN. Auszugsweise erläutern Sie in Ihrer Stellungnahme:
„ […] das Tragen von weiterer Schutzbekleidung über die Masken hinaus [ist] nicht erforderlich, da die sonst geltenden Hygieneregeln eingehalten werden […]“
Werden diese Regeln von minderjährigen Kindern durchweg an einer Grundschule eingehalten? Ist das im Falle einer gerade durchgeführten Selbsttestung überhaupt möglich? NEIN. Es kommt sowohl bei Kindern als auch Erwachsenen zu ausgeprägtem Niesreiz durch den Test. D.h. die beaufsichtigende Lehrkraft müsste in voller Schutzkleidung ausgerüstet sein. Außerdem sitzen bei Wechselunterricht 15 niesende Kinder im Klassenraum, natürlich erstmal ohne Maske, da sie ja ein Teststäbchen in der Nase haben. Das ist in der aktuellen Pandemiephase nicht angezeigt.
Ich möchte aber auch deutlich zum Ausdruck bringen, dass Testungen selbstverständlich ein wirksames Mittel sind, Infektionsketten zu unterbrechen und so Lehrer, Schüler, Eltern, Großeltern und damit im Ergebnis uns alle zu schützen. Die Selbsttests können doch aber ohne Weiteres und bei verminderten Infektionsrisiko zu Hause durchgeführt werden.
In diesem Geiste fand durch Eltern in den vergangenen zwei Tagen, jeweils von 07:20 bis 07:50 Uhr, damit kurz vor Unterrichtsbeginn, eine Unterschriftensammelaktion GEGEN die von Ihnen gewünschten Tests IN DER Schule. An diesen Tagen brachten von 525 in der Schule lernenden Schüler*innen 165 Eltern Ihre Kinder persönlich in die Schule; davon unterschrieben 157 Eltern diese Petition. Die Eltern brachten damit ihre Meinung zum Ausdruck, dass eine Selbsttestung durch Grundschüler IN DER SCHULE zu unterbinden ist.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch auf diese Aussage Ihrer Stellungnahme vom 14.04.2021 eingehen:
„Wenn Schülerinnen und Schüler nicht an den Selbsttests in der Schule teilnehmen sollen und auch kein alternatives negatives Testergebnis vorlegen können, das den Anforderungen der Infektionsschutzmaßnahmenverordnung entspricht, müssen die Eltern bzw. Erziehungsberechtigten oder die Schülerinnen und Schüler dies der Schule mitteilen. Ein Schulbesuch der Schülerinnen und Schüler ist dann nicht möglich.“
Das geht meines Erachtens entschieden zu weit. Nicht nur sehe ich Grundrechte ohne die erforderliche Rechtfertigung beeinträchtigt. Mir fehlt schon eine Rechtsgrundlage, die Sie zu diesem Verbot ermächtigt. Lassen Sie uns die juristische Bewertung an dieser Stelle kurz dahinstehen. Sie übersehen meines Erachtens, die aus Ihrem Verbot unmittelbar zu Tage tretenden Einschränkungen und Folgen für die Schülerinnen und Schüler. Und dies obschon doch eine Testung zu Hause sicherer und gleich zuverlässig durchgeführt werden kann. Die Pandemie dauert nun schon über ein Jahr. In diesem Jahr ist von allen Beteiligten ein hohes Maß an Hingabe und durchaus auch Aufopferung abverlangt. Insbesondere in den Familien werden im Verhältnis zu Schule, Arbeitgebern, Freunden und Bekannten, Spielkameraden und Mitschülern große Entbehrungen und durchaus Drahtseilakte abverlangt. Jetzt soll der einzige mögliche Kontakt der Grundschüler und zugleich die einzige effektive Form des Unterrichts insbesondere für die Schüler der 1. und 2. Klassenstufen verboten werden, weil nach Ihrer Auffassung Selbsttests IN DEN Schulen und nicht zu Hause durchgeführt werden sollen.
Und doch zeigen Sie in Ihrer Stellungnahme einen anderen Weg dem Grunde nach auf, wenn auch nur ausnahmsweise, indem Sie schreiben:
„Die Schulleiterin/der Schulleiter findet im Austausch mit den Eltern/Erziehungsberechtigten eine individuell angepasste Vorgehensweise. Das regional ansässige Schulpsychologische und Inklusionspädagogische Beratungs- und Unterstützungszentrum (SIBUZ) kann beratend hinzugezogen werden. Sollten Eltern/Erziehungsberechtigte die Testung zuhause vornehmen wollen, muss der Schule eine Bescheinigung zum Testergebnis vorgelegt werden.“
Dies zum Anlass nehmend dürfen also Testungen durch die Eltern zu Hause durchgeführt, die Ergebnisse durch die Eltern für die Schule bescheinigt werden und zugleich der Präsens-Unterricht besucht werden. Aber warum nur ausnahmsweise? Machen Sie diese Ausnahme zur Regel! So wie es die vergangenen zwei Wochen bereits gehandhabt und erfolgreich praktiziert wurde. Diejenigen Eltern, die mich bei der Abfassung dieser Stellungnahme unterstützten und ich, werden diese Ausnahme eingehend prüfen, bevor wir unsere Kinder ein weiteres Mal erklären, warum sie nicht am Unterricht teilnehmen dürfen.
Lassen Sie mich vorstehendes kurz zusammenfassen: Die von Ihnen auferlegte und durch das angesprochene Verbot sanktionierte Pflicht zu Selbsttestungen durch Kinder in Grundschulen:
- gefährdet die psychische und physische Gesundheit der Kinder
- ist kein milderes Mittel als Testungen zu Hause
- ist personell durch die Lehrer nicht umsetzbar
- ist angesichts fehlender Schutzkleidung in der Sache nicht umsetzbar
- ist angesichts weiterer Beeinträchtigung der ohnehin knappen Unterrichtszeiten organisatorisch nicht umsetzbar
- bescheinigt den Eltern fehlende Zuverlässigkeit ihre Kinder selbst ordnungsgemäß zu testen
Ich freue mich, mit Ihnen in den Austausch zu treten und unsere gegensätzliche Ansichten zu Selbsttestungen in den Schulen zu diskutieren. Ihrer Beantwortung sehe ich gern entgegen.
Mit freundlichen Grüßen
Reinhard Lau
Gesamtelternsprecher der Mahlsdorfer Grundschule