Verbraucherzentrale Berlin entsetzt: Mahlsdorfer soll 443,94 Euro für 18 Tage Gas bezahlen

Mehreren Hunderttausend Deutschen wurde Anfang Dezember von ihren Strom- und Gasanbietern mitgeteilt, dass sie trotz laufender Vertragsverhältnisse die Belieferung einstellen werden. Betroffen war auch Einfamilienhausbesitzer Bernd W. aus der Lemkestraße in Mahlsdorf. In einem Schreiben von „Grünwelt Energie“ hieß es: „Leider machen es uns die fortlaufenden Entwicklungen auf den Rohstoffmärkten unmöglich, Ihre Versorgung mit Gas fortzusetzen.“

 

W. wurde doppelt gestraft. Er verlor seinen Anbieter und wechselte automatisch in die Grundversorgung des Berliner Energieunternehmens „Gasag“. Von dort kam Anfang Januar der Schock: Für die Gasversorgung vom 3. Dezember bis 21. Dezember, also 18 Tage, soll der Mahlsdorfer satte 443,94 Euro zahlen. Weil die Gasag für den „Neukunden“ satte 15,3 Cent pro Kilowattstunde verlangt, fast doppelt so viel der deutschlandweite Durchschnitt. Der 57-jährige Bernd W. wittert Abzocke. Gegenüber „Alles Mahlsdorf“ bestätigt die Verbraucherzentrale Berlin die enormen Preissprünge. Bestandskunden in der Grundversorgung der Gasag zahlen demnach aktuell „nur“ 8,46 Cent/kWh, Neukunden in der Ersatzversorgung zum Teil sogar bis zu 18,73 Cent/kWh. „Es kann nicht sein, dass der Grundversorger zwischen Neu- und Bestandskunden unterscheidet und Neukunden zu einem teureren Tarif versorgt“, so Hasibe Dündar aus dem Bereich Recht und Beratung der Verbraucherzentrale Berlin gegenüber „Alles Mahlsdorf“.

 

Bernd W. ist mit seinem Problemnicht allein. Energiefirmen wie Stromio, Gas.de und Grünwelt des Düsseldorfer Unternehmers Ömer Varol boten in den vergangenen Jahren Strom und Gas zu Schleuderpreisen an, wurden nun gekündigt. Die regionalen Anbieter der Strom- und Gasversorgung hoben daraufhin massiv die Preise an. Laut Berechnungen von „Check24“ haben 337 Grundversorger spezielle neue Tarife ausschließlich für Kunden eingeführt, die wegen der Kündigung durch andere Versorger nun auf die Ersatzversorgung angewiesen sind. Die Preise seien im Durchschnitt um rund 103 Prozent gestiegen, erklärte das Vergleichsportal gegenüber „tagesschau.de“.

 

Verbraucherschutzzentralen aus Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Hessen machten ähnliche Beobachtungen. Die Kosten für Gas sind für die Neukunden fast drei Mal so teuer wie für Bestandskunden. „Wir halten die unterschiedliche Bepreisung für Bestands- und Neukunden für sehr fragwürdig“, heißt es von der Verbraucherzentrale Hessen. Die Verbraucherschutzzentrale von Rheinland-Pfalz hält eine Zweiklassen-Grundversorgung „für systemwidrig und daher unzulässig“. Ähnlich ist von der Verbraucherschutzzentrale aus Berlin zu hören. Deren Expertin Hasibe Dündar gegenüber „Alles Mahlsdorf“: „Von Neukunden in der Gasgrundversorgung einen höheren Preis zu verlangen, ist unserer Meinung nach systemwidrig und daher unzulässig. Denn das Energiewirtschaftsgesetz gibt vor, dass der Preis in der Ersatzversorgung den der Grundversorgung nicht überschreiten darf. Diese gesetzliche Regelung läuft ins Leere, wenn es plötzlich verschiedene Preise beim Grundversorger gibt.“ Wenn die aktuelle Preisentwicklung dazu führen würde, dass der Versorger mit den Preisen der Grundversorgung nicht mehr wirtschaftlich arbeiten kann, so Dündar, müsse er nach den gesetzlichen Regeln die Preise für alle Kunden in der Grundversorgung gleichermaßen in zulässigem, transparenten und sozialverträglichen Umfang anheben.

 

Der Mahlsdorfer Bernd W. will sich nun wehren. Er nutzte einen Musterbrief der Verbraucherzentralen zu Schadenersatz wegen unwirksamer Kündigung und schickte ihn an Grünwelt. „Ob es wirklich etwas bringt, weiß ich nicht. Aber es ist ein Anfang. Experten gehen davon aus, dass alles auf Sammelklagen von Opfern hinausläuft, laut „Bild“ hat sich die Bundesnetzagentur bereits eingeschaltet und untersucht den Fall. Hoffnung kommt für Bernd W. von oberster Ebene. Zum Schutz vor extremen Preissprüngen hat Bundesverbraucherschutzministerin Steffi Lemke (Grüne) die Prüfung neuer Regeln angekündigt. „Die Bundesregierung beobachtet das Verhalten der Marktakteure sehr genau und prüft mögliche regulatorische Schritte“, sagte Lemke der Deutschen Presse-Agentur. Die Verbraucherzentralen schickten bereits mehrere Abmahnungen und kündigten weitere an. „Aktuell haben wir es mit Preisaufschlägen zu tun, die den Strompreis auf bis zu 90 Cent pro Kilowattstunde hochtreiben“, sagte Lemke. „Das ist in keiner Weise durch Marktgeschehen zu rechtfertigen.“ Zuvor hatte bereits Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) eine Überprüfung des liberalisierten Gas- und Strommarkts angekündigt.

Diese Rechnung der Gasag erhielt Bernd W. Anfang Januar von der Gasag.

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