Am 25. Januar wurde unser Mahlsdorf exakt 675 Jahre alt. Seitdem nimmt „Mahlsdorf LIVE” dieses Jubiläum immer wieder zum Anlass, über historische Ereignisse oder geschichtlich bedeutende Vorgänge aus unserem Ortsteil zu berichten (siehe Links am Ende des Artikel). Dazu konnten wir die Historikerin Dr. Christa Hübner, welche als stellvertretende Vorsitzende des Heimatvereins wirkt und sich seit mehr als 20 Jahren mit der Geschichte des Bezirks Marzahn-Hellersdorf beschäftigt, gewinnen. Hier ihr aktueller Text über Mahlsdorf zu DDR-Zeiten, die nicht wenige unserer Leser miterlebt haben. Unsere Bitte: Wir würden uns freuen, wenn wir private Fotos aus Mahlsdorf aus den Jahren der DDR via MahlsdorfLIVE@gmail.com oder Whatsapp 017630728478 zugeschickt bekommen würden. Hier nun der Beitrag von Dr. Christa Hübner:
Unmittelbar nach dem Kriegsende 1945 war auch in Mahlsdorf der Alltag zunächst vor allem von der Sorge ums tägliche Überleben bestimmt. Man ging daran, die Kriegsschäden zu beseitigen und das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben wieder in Gang zu bringen. In den ersten Nachkriegsjahren blieben die ökonomischen Strukturen noch weitgehend erhalten, doch mit der Verkündung des Aufbaus einer sozialistischen Gesellschaft durch die SED kam es zu gravierenden Veränderungen in allen Lebensbereichen.
Die land- und gartenwirtschaftlichen Betriebe in der DDR schlossen sich bis Anfang der 1960er-Jahre, teils unter Zwang, zu Landwirtschaftlichen (LPG) oder Gärtnerischen Produktionsgenossenschaften (GPG) zusammen. In Mahlsdorf entstanden die LPG „Berliner Osten“ sowie die GPG „Hermann Schlimme” und „Frohe Fahrt“. Letztere wurde 1985 mit dem Landwirtschaftsbetrieb in Hellersdorf zur LPG Pflanzenproduktion Hellersdorf/Mahlsdorf mit Sitz auf dem Gutshof Hellersdorf zusammengelegt. Das seit 1920 bestehende und aus dem Rittergut hervorgegangene Stadtgut Mahlsdorf war schon 1952 dem Volkseigenen Gut Hellersdorf unterstellt worden.
Die kleinteilige industriell-gewerbliche Struktur, die Mahlsdorf bisher geprägt hatte, änderte sich in DDR wenig. Mitte der 1980er-Jahre verfügten nur das Rechenzentrum der Deutschen Reichsbahn in der Florastraße und der VEB Bau-Ost in der Neuenhagener Straße über 500 oder mehr Beschäftigte. Bau-Ost war 1958 als Produktionsgenossenschaft des Handwerks (PGH) aus drei privaten Bauhandwerksbetrieben entstanden und 1972 wie die anderen industriell arbeitenden PGH in der DDR zwangsweise in einen Volkseigenen Betrieb umgewandelt worden.
Die Infrastruktur wurde auch in Mahlsdorf vernachlässigt. Die Bevölkerungszahl ging deutlich zurück. Den Bau neuer und eine Sanierung historischer Gebäude gab es kaum. Stattdessen wurde viel historische Bausubstanz abgerissen, darunter in den 1980er-Jahren das frühere Müllerhaus in der Hönower Straße 61. 1792 erbaut, war es nach der Kirche das älteste Gebäude Mahlsdorfs. Verschwunden ist auch das gegenüber dem Bahnhof 1896 als Gesellschaftshaus „Anders“ eröffnete Haus Hönower 76-80, dessen Festsaal über Jahrzehnte als Kino diente. 1983 entstand an seiner Stelle eine Kaufhalle, die auch nicht mehr existiert und dem 2019 eröffneten Neubau eines Rewe-Supermarktes wich („Mahlsdorf LIVE“ berichtete). Der Verbreiterung der Straße Alt-Mahlsdorf fiel u. a. das legendäre frühere Restaurant Tegelitz zum Opfer, das Mitte der 1960er-Jahre geschlossen worden war. Das Gebäude diente danach als Bibliothekslager und wurde 1986 abgerissen. Vor dem drohenden Abriss gerettet werden konnte hingegen das aus dem 19. Jahrhundert stammende Gutshaus Mahlsdorf. Zu verdanken ist dies Charlotte von Mahlsdorf (Lothar Berfelde), die dort 1960 ihr Gründerzeitmuseum eröffnete.
Mahlsdorf wurde in der DDR aber auch zum Wohnort nicht weniger bekannter Künstler. Zu ihnen gehörten die Schriftsteller Jurek Becker und Rudi Strahl, die Kinderbuchillustrateurin Ingeborg Meyer-Rey, der Komponist Kurt Schwaen und die Bildhauerin und Keramikerin Johanna Jura. 1966 ließ sich der Maler Josep Renau, der nach dem Spanischen Bürgerkrieg in den 1930er-Jahren hatte emigrieren müssen, in Mahlsdorf nieder und lebte dort bis zu seinem Tode 1982.
Am bekanntesten aber ist sicher ein ganz kleiner Mann, den viele vielleicht nicht mit Mahlsdorf verbinden: das Sandmännchen. 1959 geboren, zog es 1963 nach Mahlsdorf. Zunächst wurden die Filme in der ehemaligen Waldgaststätte „Kiekemal“ produziert, von Mitte der 1970er-Jahre bis 1993 im früheren Kino „Lichtburg“ am Hultschiner Damm. Gerhart Behrendt, der Schöpfer des Sandmännchens, lebte ab 1970 in Mahlsdorf. Die Bezirksverordnetenversammlung Marzahn-Hellersdorf beschloss 2019, eine Straße nach ihm zu benennen.
Die politische und gesellschaftliche „Wende“ 1989/90 wurde auch in Mahlsdorf in erheblichem Maße von der evangelischen Kirche mitgestaltet. So organisierte die im September/Oktober 1989 gegründete Initiativgruppe Neues Forum Mahlsdorf gemeinsam mit einer Gruppe „Menschenrechte in der DDR“ am 3. November im Theodor-Fliedner-Heim eine Diskussion mit ca. 300 Beteiligten, auf der Fragen wie die Ausreiseproblematik, die Rolle des MfS, der Führungsanspruch der SED und freie Wahlen debattiert wurden. Am 7. Dezember 1989 fand in der Kreuzkirche eine Veranstaltung „Die Alternativen zur SED“ statt, zu der neben Kirchenvertretern das Neue Forum, der Demokratische Aufbruch, die CDU und die SDP (ab 13. Januar 1990 SPD) einluden. Letztere war erst am 15. November im Stadtbezirk Hellersdorf, dem Mahlsdorf angehörte, gegründet worden. Wie überall in der DDR wirkte auch im Stadtbezirk Hellersdorf ein Runder Tisch, der vom 7. Dezember 1989 bis zum 16. Mai 1990 beriet. Nur einige Tage vor der abschließenden Sitzung hatten die ersten und letzten freien Kommunalwahlen stattgefunden, in deren Ergebnis Marlitt Köhnke von der SPD zur Bezirksbürgermeisterin gewählt wurde. Wenige Monate später, am 3. Oktober 1990, wurde auch Mahlsdorf Teil der Bundesrepublik Deutschland und des Landes Berlin.