Am vergangenen Mittwoch stellte „Alles Mahlsdorf“ in einer großen Übersicht die fünf aussichtsreichsten Kandidat:innen auf das Direktmandat für den Wahlkreis Mahlsdorf/Kaulsdorf-Süd vor. Diese werden bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus Berlin am kommenden Sonntag mit der Erststimme gewählt, es gibt nur eine Siegerin oder einen Sieger. Es gibt aber noch eine Reihe anderer Menschen, die (zwar aussichtslos) um eben jenes Mandat kämpfen oder in Mahlsdorf leben und in anderen Wahlkreisen oder gar bei der Bundestagswahl antreten. „Alles Mahlsdorf“ zeigt die sehr bunte Mischung.
Der kämpfende Polit-Profi: Mario Czaja (CDU)
Seit gut 22 Jahren vertritt Mario Czaja Mahlsdorf im Abgeordnetenhaus. Jetzt will er den nächsten Schritt gehen, kämpft um die Erststimme für den Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf bei der ebenfalls am Sonntag stattfindenden Bundestagswahl. Unterstützt wird der seit Wochen im gesamten Bezirk dauerpräsente 46-Jährige von allerlei Prominenz. Puhdys-Sänger Peter „Eingehängt“ Meyer etwa, der ehemalige Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen oder Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer etwa. Der mit reichlich Kraft, Personal und finanziellen Mitteln bestrittene Wahlkampf dürfte auch nötig gewesen sein – denn das Rennen um das Direktmandat in Marzahn-Hellersdorf ist groß, die Konkurrenz aus verschiedenen Gründen stark.
Petra Pau von den Linken etwa, seit 1998 sitzt die 58-Jährige für den Bezirk im Bundestag, hat dort das Amt der Vizepräsidentin inne. Sie gilt als eine, die ein ganz feines Gespür für die Sorgen der Menschen hat, zuhören kann, sich kümmert, allerdings bei den vergangenen drei Wahlen jeweils deutliche Stimmverluste hinnehmen musste. Außerdem könnte Czaja das andere politische Spektrum einen Strich durch die weitere Karriere machen, in Person des AfD-Politikers Thomas Braun. Der gebürtige Baden-Württemberger machte in den vergangenen fünf Jahren als Marzahn-Hellersdorfer Stadtrat zwar keine gute Figur und tritt im Wahlkampf quasi nicht in Erscheinung, kann aber dennoch (fast traditionell im Bezirk) auf Protest-Stimmen hoffen.
Aus dem Umfeld des Mahlsdorfer Mario Czaja ist in den vergangenen Tagen deshalb eine Idee immer wieder hörbar. „Zwei aus dem Bezirk ins Parlament“. Wie das gehen soll? Da Petra Pau auf Platz 1 der Landesliste der Linken steht, zieht sie so oder so in den Bundestag ein. Die, die sonst Petra Pau wählen würden, sollten also lieber ihr Kreuz bei Mario Czaja machen, heißt es. Denn der ist nicht „abgesichert“. Vor allem auf Drängen der Berliner CDU-Granden aus den westlichen Bezirken landete er weit abgeschlagen auf der Landesliste, hat also nur über das Direktmandat eine Chance auf Fortsetzung seiner politischen Karriere. Einen Haken hat dieses Gedankenspiel aber: Die Linkspartei kommt in Umfragen der 5-Prozent-Hürde derzeit gefährlich nah. Reißt sie diese, könnte sie dennoch in den Bundestag einziehen.Hintergrund ist die Grundmandatsklausel im Bundeswahlgesetz. Diese besagt, dass es eine Partei auch dann ins Parlament schafft, wenn sie unter fünf Prozent landet – wenn sie denn mindestens drei Direktmandate gewinnt. Das waren bei den vergangenen Wahlen immer, quasi als Lebensversicherung der Linken, Gesine Lötzsch in Lichtenberg, Gregor Gysi in Treptow-Köpenick – und, und hier findet sich der oben benannte Haken, Mario Czajas Konkurrentin Petra Pau in Marzahn-Hellersdorf.
Der junge Dozent: Dmitri Geidel (SPD)
Der in Leningrad geborene Jurist Dmitri Geidel lebt in Mahlsdorf, tritt für die SPD aber im Wahlkreis 4 mit den Gebieten Marzahn-Süd und Biesdorf an. Der 31-Jährige arbeitet derzeit an seiner Doktorarbeit und doziert an der Hochschule für Wirtschaft und Recht. Sein größtes Ziel: „Dass sich möglichst viele Bürger für ihre Mitmenschen engagieren und sich einbringen – in Sportvereinen, Kirchen und Gewerkschaften. Nur so schaffen wir eine demokratische und bunte Zivilgesellschaft, an der alle teilhaben können.“ Geidels Vater ist Deutscher, seine Mutter Russin. 1993 siedelte die Familie nach Berlin über, 2017 versuchte er vergeblich das Bundestagsmandat in Marzahn-Hellersdorf zu ergattern. Mit der Aufstellung im Wahlkreis rund um Marzahner Chaussee und Springpfuhl dürfte versucht werden, möglichst viele Stimmen aus der russlanddeutschen Gemeinde für den Mahlsdorfer zu holen.
Die Jägerin von Betrügern: Justyna Anna Grecko (FDP)
2019 zog die 32-jährige Justyna Anna Grecko, geboren im äußersten Südosten Polens, nach ihrem BWL-Studium der Betriebswirtschaftslehre in Frankfurt am Main nach Mahlsdorf und trat hier in die FDP ein. Für diese tritt sie am Sonntag im Wahlkreis Mahlsdorf/Kaulsdorf-Süd an. Grecko arbeit arbeitet bei einem Kreditinstitut, befasst sich mit IT-Lösungen für die Bekämpfung von Betrug- und Geldwäsche. Besonders wichtig hält sie für Mahlsdorf (wie nahezu alle Kandidat:innen) die Sanierung von Straßen, Neubau, Schulbau und Ausbau des ÖPNV. Vor allem die Digitalisierung hat es Justyna Anna Grecko angetan. Im Falle eines (wahrscheinlich unwahrscheinlichen) Direktmandats will sie sich für Mahlsdorf für den Ausbau des Breitbandnetzes stark machen, ebenso dass Schulen mit den neuesten Technologien ausgestattet werden und versuchen ein Start-Up Hub im Ortsteil ins Leben zu rufen.
Der laufbegeisterte Datenschützer: Jan Lehmann (SPD)
In den vergangenen Tagen sorgte der in Mahlsdorf lebende SPD-Politiker Jan Lehmann, der derzeit als Datenschützer tätig ist, für reichlich Wirbel. Gemeinsam mit seiner Tochter Luise, welche in Wahlkreis Mahlsdorf/Kaulsdorf für die Sozialdemokraten antritt, behauptete er (nach Eigenaussage versehentlich) im Tagesspiegel-Newsletter, der CDU-Bundestagskandidat Mario Czaja würde seine Tochter und ihn wählen. Und auch sonst ist der 49-jährige Volljurist und begeisterte kein Leisetreter, zeigt sich sehr aktiv in den sozialen Medien. Am Sonntag tritt der stellvertretende Kreisvorsitzende im Wahlkreis 6 (Kaulsdorf-Nord und Hellersdorf-Süd) an.
Die von rechtsaußen kommt: Jeannette Auricht (Afd)
Die in Mahlsdorf lebende AfD-Politikerin Jeannette Auricht trat bei der vergangenen Abgeordnetenhauswahl im Jahr 2016 im Wahlkreis Mahlsdorf/Kaulsdorf an, verlor gegen Mario Czaja, zog aber über die Landesliste ins Berliner Parlament ein. Dort schaffte es die Einzelhandelskauffrau in den Landesvorstand, 2017 scheiterte sie bei der Bundestagswahl und blieb in der Hauptstadt-Politik. Am kommenden Sonntag will sie das Direktmandat im die Gebiete Kienberg, Alt-Hellersdorf, Hellersdorf-Nord und Hönow-West umfassenden Wahlkreis 3 schaffen. Jeannette Auricht, die wegen einer Trunkenheitsfahrt vor kurzem ihre Immunität als Abgeordnete verlor, kann dem Rechtsaußen-Flügel der rechtspopulistischen Partei zugeordnet werden. Im Zuge ihres Wahlkampfes vor vier Jahren hatte Auricht eine Veranstaltung im Hoppegartener Restaurant „Mittelpunkt der Erde“ mitorganisiert, an der neben dem vom Bundesamt für Verfassungsschutz als Rechtsextremen bezeichneten AfD-Politiker Björn Höcke auch Mitglieder der rechtsextremen Parteien Pro Deutschland und NPD teilnahmen. Im März 2021 wurde sie zur ersten Stellvertreterin der Berliner Landesvorsitzenden der AfD gewählt. Wenige Wochen zuvor hatten Unbekannte das Haus der AfD-Politikerin in Mahlsdorf beschmiert.
Die 51-Jährige Mahlsdorferin beteiligte sich zudem gemeinsam mit Aktivisten der „Neuen Rechten“ an Anti-Corona-Protesten. Zur Darstellung ihrer politischen Positionen nutzt Auricht auffällig oft das Videoformat, zumeist mit dem AfD-Abgeordneten Gunnar Lindemann (rief kürzlich zu Querdenker-Protest vor Marzahner Schule auf). Im August 2020 unterzog „Alles Mahlsdorf“ drei dieser Videos einem Faktencheck, entdeckte dabei reichlich Fehlinformationen.
Die unerfahrene Impfgegnerin: Steffi Möller (dieBasis)
Steffi Möller wurde 1983 geboren, lebt in Biesdorf und arbeitet als Erzieherin. Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus will sie in Mahlsdorf das Direktmandat für die Partei „Die Basis“ holen. Die Partei wurde im Juli 2020 im Umfeld der Proteste gegen Schutzmaßnahmen wegen der COVID-19-Pandemie gegründet wurde, heute finden hier zahlreiche Querdenker und Verschwörungsgläubige ihre politische Heimat. Zur Bundestagswahl tritt die nach einem Jahr Bestehen mittlerweile tief zerstrittene Partei mit „Kanzlerkandidat“ Reiner Fuellmich an. Dieser hatte Anfang des Jahres eine enorm hohe Zahl von Impftoten prophezeit. Laut einem Bericht des „Tagesspiegel“ hatte er im Februar sogar von einer „organisierten Massentötung“ gesprochen, die rund 25 Prozent der Betroffenen direkt umbringen würde. Seit 30. April 2021 gibt es „dieBasis“ in Marzahn-Hellersdorf als eigenen Bezirksverband.
Der Satiriker: Martin Walter (Die Partei)
Der 1987 in Magdeburg geborene Walter tritt im Wahlkreis Mahlsdorf/Kaulsdorf-Süd für die „Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative“ (Die PARTEI) an. Sie gilt als Satirepartei, in Mahlsdorf hängen unter anderem Plakate mit der Forderung „Lichtenberg enteignen“. Martin Walter, der hauptberuflich als Personalsachbearbeiter tätig ist, lebt in Hellersdorf und ist Schatzmeister des Marzahn-Hellersdorfer Ortsverbands.
Der vegane Informatiker: Jakob Berlin (Tierschutzpartei)
Der in Mahlsdorf lebende Softwareentwickler (Baujahr 1982) tritt für die „Tierschutzpartei“ im Wahlkreis Mahlsdorf/Kaulsdorf an. Die Partei sieht in Mensch, Tier und Natur eine „untrennbare Einheit“. Sie fordert die Aufnahme von Grundrechten für Tiere mit einem eigenen Artikel ins Grundgesetz und setzt sich unter anderem für eine Umstellung auf den Veganismus ein.