Gut zweieinhalb Kilometer lang ist die Lemkestraße, nahezu geradlinig, verbindet im Mahlsdorfer Norden die Dahlwitzer Straße mit der Donizettistraße. Die „Lemke“ gehört zu den längsten und ältesten Straßen des Ortsteils. Vor einigen Wochen begann nach langem Streit über das „Ob“ und „Wenn ja, wie?“ die grundlegende Sanierung des 1,4 Kilometer langen südlichen Teilstücks zwischen Kieler Straße und Bahnübergang, Jahrzehnte alte Bäume und das historische Feldsteinpflaster weichen zu Gunsten einer besseren Befahrbarkeit. „Alles Mahlsdorf“ erhielt von Karl-Heinz Gärtner, dem in Mahlsdorf aufgewachsenen ehrenamtlichen Biesdorfer Ortschronisten, die Möglichkeit, seinen vornehmlich von den Anfangsjahren der Lemkestraße ab dem Jahr 1900 bis zum Zweiten Weltkrieg handelnden Text samt der zahlreichen Fotos veröffentlichen zu dürfen. Wie das Leben in die Lemkestraße einzog:
Neben der alten, seit Jahrhunderten bestehenden Hönower Straße ist die Lemkestraße die weitaus jüngere zweite Hauptstraße von Mahlsdorf-Nord. Projektiert und angelegt wurde sie ab 1900. In den Jahren 1905/06 gab es 14 Grundstückseigentümer, von denen sieben noch in Berlin ihren Hauptwohnsitz hatten. Insgesamt gab es 17 Bewohner in der Lemkestraße. 1910 waren es schon 19 mit insgesamt 57 Bewohnern. Ihren Namen erhielt die Straße vom Amtsvorsteher Eugen Voigt (1854-1945), der von 1892-1919 Vorsteher des Amtes Biesdorf war, am 27.September 1902 nach dem Gutsbesitzer Karl Lemke, der seine Ländereien, wie andere Landwirte auch, durch Verkauf von Ackerland in Mahlsdorf-Nord die Besiedlung erst möglich machte. Karl Heinrich Lemke (geboren am 10.6.1847 in Tremmen und gestorben am 26.11.1906 in Mahlsdorf) war kein Mahlsdorfer Urgestein, er zog erst um 1880 mit seiner Frau Marie Charlotte Friederike und seinem Sohn Alfred Carl Lemke (geboren 22.9.1878) aus dem havelländlichen Gebiet nach Mahlsdorf und übernahm hier ein möglicherweise schon bestehenden Bauernhof in der Röntgenstraße 6 (heute Kuhnaustraße).
Die Lemkestraße (1903) wie auch die Lindenstraße (1904) gehörten mit zu den ersten Straßen, die in Mahlsdorf–Nord gepflastert wurden. Erstmalig, am 24. März 1906, wurde in einem Gemeindebeschluss festgesetzt, den nördlichen Teil der Gemeinde Mahlsdorf ab Bahndamm der Ostbahn als Mahlsdorf-Nord zu bezeichnen. Ein 1907 gegründeter Grundbesitzerverein unter dem Vorsitzenden Wilhelm Albrecht (Tischlermeister) trug noch die alte Bezeichnung Mahlsdorf-Höhe. Dieser Vereinsname blieb noch bis Anfang der 1930er Jahre erhalten. Auch ältere Ansichtskarten trugen noch die Ortsbezeichnung Mahlsdorf-Höhe.
Auch an die Versorgung der neuen Einwohner mit lebensnotwendigen Dingen dachte man seinerzeit. Geschäftsleute eröffneten kleine Läden, Handwerker und Gärtnereien boten ihre Dienste an, und für die Geselligkeit sorgten Gastwirte mit ihren Restaurants. In der Lemkestraße gab es gleich zwei. Ein größeres Restaurant, das vom Gastwirt und früheren Klempner ab circa 1912 von Peter August Moschinski und ab 1929 von seiner Frau Louise Amalie geführt wurde, befand sich zwischen 1910 und 1943 in der Lemkestraße 188. August und Louise Moschinski siedelten bereits 1904 von ihrem letzten Berliner Wohnsitz in der Gräfestraße 37 nach Mahlsdorf. Ihre zwei Kinder zogen nicht mit nach Mahlsdorf, sie waren bereits 1896 und 1903 verheiratet und gingen ihre eigenen Wege. Das Haus, an der Ecke Sudermannstraße, in dem sich das Restaurant der Moschinskis befand, existiert heute noch, trägt eine blaue Fassade, eine Zahnärztin hat sich hier niedergelassen.
Diese Aufnahmen zeigen die noch junge Lemkestraße aus der Zeit um 1912.
Ein etwas kleineres Restaurant befand sich in der Lemkestraße 150 (Ecke Kieler Straße, heute befindet sich hier die Physiotherapie Kahlert). Geführt wurde es vom Geschäftsmann Paul Jakob, der es „Zur Bauernschänke“ nannte. Bis etwa zum Ersten Weltkrieg gehörten ihm auch das im selben Haus befindliche Kolonialwarengeschäft und die spätere Eisenwarenhandlung. 1929 zog hier die „Lemke-Drogerie“ von Adolf Fengler, vormals Lemkestraße 169 ein. Ende der 1920er Jahre wurde bei Paul Jakob eine Feuermeldestelle eingerichtet. Weitere Feuermeldestellen gab es in der Lemkestraße 203 bei Johannes Kohlhoff, wo sich ebenfalls für die Jahre 1927-1939 eine kleine Gaststätte befand und bei Julius Kusse, Lemkestraße 178. Paul Jakob genehmigte, dass um 1930 an seinem Haus ein Postbriefkasten angebracht wurde.
Eine weitere kleine Gaststätte gab es noch in der Lemkestraße 53, von 1935-1943 gehörte sie dem Gastwirt Hermann Banuscher, der von 1930-31 Inhaber des Restaurant „Paradiesgarten“ in Biesdorf , Alt-Biesdorf 64 war. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sie noch bis ca. 1949 existiert. Wenig bekannt ist von der Existenz eines weiteren Restaurants in der Lemkestraße 33 um 1910-1912, dass ein Emil Gustav Paul Stagen (*1863, Mahlsdorf) besessen haben soll.
Diese Ansichtskarte mit Panoramablick stammte aus der Zeit um 1930, bei einer späteren Auflage wurde der Fehler „Lempke“–Straße berichtigt.
Eine wichtige Adresse in der Lemkestraße war einst die Nr. 198 (hier stehen heute Neubauten) von Bogumiel Stanislaus Alexander Bobrzyk , geboren am 5. April 1870 in Berlin, mit seiner kleinen Druckerei aus der Zeit 1928 bis 1941. Das Mahlsdorfer Gemeindeblatt entstand fast zehn Jahre lang in der Lemkestraße 198.
Heute gibt es nur noch wenige Geschäfte und Firmen in der Lemkestraße. In den 1920er-Jahren war dies anders. Hier eine Übersicht der Handwerks- und Gewerbebetriebe.
Weitere Anzeigen aus den 1920er und 1930er Jahren von Anwohnern der Lemkestraße. Einige von ihnen boten schon den Kontakt über Fernsprechanlagen an, damalige Berufe wie die sich in einem Gartenhaus befindliche Hutpresserei oder eine Holz- und Kohlenhandlung sind heute ausgestorben oder nur noch äußerst selten vorhanden.
Eine bebilderte Werbeanzeige der von Fritz Gerbes betriebenen Baumschule/Gärtnerei aus der Lemkestraße 14. Gültig war sie in der Anfangszeit des Zweiten Weltkriegs in den Jahren 1940/1941. Das Grundstück befand sich auf dem Gelände des Wernergrabens, ungefähr dort wo heute das neue Altenhilfezentrum entsteht.
Blick auf die Lemkestraße 6, links, um 1940, noch gut zu erkennen ist das Zigarren–Reklameschild von Paul Freund. Das Haus ist heute noch gut zu erkennen, befindet sich aus Fahrtrichtung Donizettistraße über den Bahnübergang kommend auf der linken Seite an der Kreuzung mit der Menzelstraße. Heute befindet sich dort eine Kinderwohngruppe.
Im Zweiten Weltkrieg wurden in Mahlsdorf zwischen 1944 und April 1945 insgesamt 265 Häuser zerstört, auch die Lemkestraße blieb von Bombenschäden nicht verschont. Laut „Kauperts–Straßenführer durch Berlin“ von 1950 wurden die Häuser 36, 66, 128, 156, 160, 177, 195, und 201 zerstört. Zu DDR–Zeiten gab es nur noch eine Einkaufsmöglichkeiten in der Lemkestraße, der KONSUM übernahm die Räumlichkeiten der ehemaligen Lemke–Drogerie und die „Bauernschänke“ von Paul Jakob. Nach der deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990 zog dann hier eine „Schlecker–Filiale“ ein – die auch schon Geschichte ist.
Karl–Heinz Gärtner, ehrenamtlicher Ortschronist, Mitglied des Heimatvereins Marzahn–Hellersdorf e.V.
Text und Abbildungen : Karl–Heinz Gärtner, Archiv und Ansichtskartensammlung
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Hier unsere älteren Berichte zur Lemkestraße: